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Moderne Landwirtschaft – eine Bestandsaufnahme

    Die sogenannte moderne (industrialisierte) Landwirtschaft hat zwei zentrale Aspekte, die gegen eine Fortführung des bisherigen Systems sprechen. Zum einen ist sie (anders als behauptet) weder effizient noch wirtschaftlich. Die „Kollateralschäden“ betreffen Tiere, menschliche Gesundheit, Ressourcen und die Landwirt:innen selbst. Die negativen Effekte werden zu einem großen Teil externalisiert bzw. in die Zukunft verschoben, was die Problematik aber nur verlagert. Zum anderen sind große Teile des heutigen landwirtschaftlichen Systems nicht reformierbar. Dazu gehören der Antibiotika-Einsatz mit resultierenden Resistenzen und vor allem die einseitige Züchtung auf Leistung, die innerhalb der Tierschutzgesetzgebung nicht mehr rückgängig zu machen ist.

    Die Ebene des TieresDas Tier ist durch die sogenannte industrialisierte Landwirtschaft auf mehreren Ebenen betroffen. Zentral sind hier fehlendes Tierwohl, vermehrte Krankheiten und verkürzte Lebens- und damit Nutzungsdauer. Ein System, das sich effizient nennt, müsste Tiere optimal und mit einem Maximum an Tiergesundheit und Lebensdauer halten und gesunde Lebensmittel für alle mit einem Minimum an externalisierten Kosten und Ressourcen produzieren; all dies ist nicht der Fall. Was zu oft übersehen wird: die sogenannten Kollateralschäden, wo Tiere tatsächlich mit ihrem Leben für falsche Zuchtziele und auch ungenügendes Management bezahlen.

    Hier beispielhaft an ausgewählten Tierarten/Altersgruppen dargestellt: die Verluste innerhalb des Systems (Tod vor dem Schlachttermin bzw. der geplanten Nutzungsdauer). Die Verlustzahlen variieren sehr stark von Betrieb zu Betrieb, und die Tierzahlen bei Geflügel werden nicht jährlich erhoben. Dennoch zeigt das Rechenexempel, wie verschwenderisch das System ist:

    Tierart% VerlusteGesamtzahl TiereVerluste in Zahlen
    Pute [1], [2]1311,579 Mio1,505 Mio
    Ferkel [3]167,4 Mio.1,184 Mio
    Huhn [4], [5] (Legehennen)14,549,5 Mio7,1775 Mio
    Huhn (Mast) [6], [7]3,692,461 Mio3,329 Mio
       13,195 Mio.
    • Beispiel Bruderhahn

    Bei Legehühnern und Milchrindern sind von vornherein 50% der Nachkommen „Abfallprodukte“. Die männlichen Tiere legen weder Eier/geben Milch noch lassen sie sich wirtschaftlich mästen – eine Folge der fatalen Zucht auf Einnutzungsrassen. Jahrzehntelang wurden männliche Küken in CO2 erstickt oder im sogenannten Kükenmixer geschreddert -45 Millionen pro Jahr. 2021 schob die Bundesregierung dem endlich einen Riegel vor. Verbraucher und Bioverbände freuten sich über die Lösung, dass die Eier der Hennen über einen Aufpreis die Aufzucht der Hähne quersubventionieren; dies konnte aber nur eine vorübergehende Lösung sein. Am Ende musste wieder ein Zweinutzungshuhn stehen, das sowohl Eier als auch Fleisch gleichermaßen liefern konnte – so wie seit Jahrtausenden, bevor die moderne Tierzucht ihren Irrweg einschlug. Die sogenannte „In Ovo Selektion“ in der die Küken im Ei auf das Geschlecht untersucht und dann vernichtet werden, wurde und wird abgelehnt, da sich das Töten damit lediglich auf einen früheren Zeitpunkt verlagert – es findet kein Systemwechsel statt. Zudem ist das Küken oft schon recht weit entwickelt und Leiden kann nicht zuverlässig vermieden werden.

    Gentechnische Veränderung tötet männliche Küken im Ei
    Doch es könnte nochmals ganz anders kommen: Israelische Forschende haben ein Patent auf eine gentechnische Veränderung angemeldet, die männliche Küken im Ei abtötet. Die Eier mit den weiblichen Tieren wären nicht betroffen. Sie könnten ausgebrütet und zur Eierproduktion verwendet werden: Dies wurde bereits von der Generaldirektion Gesundheit der europäischen Kommission entschieden. Damit wäre die eigentlich angestrebte Reform der Hühnerhaltung zurück zum Zweinutzungshuhn zunichte gemacht. Man hätte eine genetische Modifikation in der Nahrungskette, die kein Verbraucher haben will. Und: Was geschieht mit den aussortierten Eiern und den darin befindlichen toten Küken? Sie sind in jedem Fall genetisch verändert und müssen aufwendig entsorgt werden. Diese Folgen und Kosten werden erst später in der praktischen Anwendung offensichtlich werden. Zieht man die bereits bestehenden erheblichen Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft in Betracht, so ist dies jedenfalls ein weiterer Schritt in die falsche Richtung! Es zeigt wieder einmal, dass das System aus sich heraus nicht reformierbar ist, und dass jeder Versuch einer Veränderung zum Positiven weiter in die Sackgasse führt.

    • Beispiel Turbo-Zuchtsau

    Die Anzahl der geborenen Ferkel ist mittlerweile so hoch, dass sie die Schweinehalter vor erhebliche Anforderungen stellt, um die Verluste nicht zu stark steigen zu lassen. Die Wurfgröße stieg um 0,2 pro Wurf und Jahr (2021 brachte eine Sau pro Wurf durchschnittlich 15,5 Ferkel zur Welt), im selben Zeitraum stiegen allerdings auch die Ferkelverluste. Bereits 2009 zeigten Analysen, dass oberhalb einer Wurfgröße von 14 geborenen Ferkeln die Geburtsmaße deutlich abnehmen und die Ferkelverluste sprunghaft ansteigen [8].

    Mit mehr Ferkeln sinken die Geburtsgewichte, und es erhöht sich die Zahl nicht lebensfähiger bzw. totgeborener Ferkel, während die Milchleistung der Sau gleichbleibt. Daran ändert auch eine erhöhte Zahl an Zitzen nichts, die im selben Zeitraum ebenfalls zunahm. Folgerichtig kam eine in der topagrar 5/2022 beschriebene Studie zu dem Ergebnis, dass die Zitzenzahl keinen Einfluss auf die Zahl der erfolgreich aufgezogenen Ferkel hat. Im Gegenteil hatten Sauen mit den meisten Zitzen die höchsten Ferkelverluste. Es stellt sich daher die Frage, was die Zucht auf höhere Wurfgrößen und mehr Zitzen an der Sau bringen soll. Die Bundestierärztekammer legte bereits 2014 ein Veto gegen die sogenannten „Vielferkler“ ein, und bezeichnete diese als Qualzuchten, bei denen nicht nachvollziehbar sei, warum lebensschwache Ferkel erst produziert und dann getötet würden. In Dänemark hat die Diskussion um die Tierschutzrelevanz der Zucht auf hohe Wurfgrößen (16,1) und die einhergehende Zunahme der Ferkelverluste (auf 24%) bereits 2009 begonnen. Nach Angaben des Zentralverbandes der deutschen Schweineproduktion betrugen bereits 2008/2009 die Ferkelverluste zwischen 13,0 und 16,8%, aktuell bei 15% [9]. Die Schweinehaltungs-hygieneverordnung fordert beim Überschreiten bestimmter Prozentsätze an Verlusten (15% in der ersten Lebenswoche) bzw. Kümmerern die Feststellung der Ursachen durch einen Tierarzt.

    Aufseiten der Sau sieht es keinesfalls besser aus: Die schnelle Folge von Würfen (2,3-2,4/Jahr bei einer Tragezeit von 114 Tagen lässt keine Erholungsphase (bspw. für die Rückbildung der Gebärmutter) für die Zuchtsau zu. Es stellt sich die Frage, ob eine mögliche Überdehnung durch die hohen Wurfgrößen im Betriebsmanagement ausreichend berücksichtigt wird. Folgerichtig sinkt die Wurf- und Aufzuchtleistung, und es erhöhen sich Erkrankungen wie der gefürchtete MMA Komplex (Metritis-Mastitis-Agalaktie). So steigt die Zahl der Totgeburten mit der Zahl der Würfe bis in den zweistelligen Bereich an. Hier sind aber auch Fehler auch im Management zu suchen (bspw. fehlende Geburtsüberwachung).[10] Folgerichtig beträgt die Lebenserwartung einer Zuchtsau nicht mehr als maximal 3 Jahre. In Anbetracht der Tatsache, dass eine Sau bis zum Erreichen der Geschlechtsreife lediglich Ressourcen verbraucht, fällt es schwer, hier die Wirtschaftlichkeit zu erkennen.

    Ein weiterer, lange unbeachteter Kollateralschaden ist die hormonelle Synchronisation der Zuchtsauen, damit möglichst viele Ferkel gleichzeitig zur Welt kommen. Das dazu notwendige Hormon, das „pregnant mare serum gonadotropin“, PMSG wird tatsächlich aus trächtigen Stuten gewonnen, die unter unsäglichen Bedingungen in Argentinien, Uruguay und Island gehalten werden. Die Blutentnahme wird unter höchst tierschutzwidrigen Bedingungen vorgenommen. Auch in Deutschland gibt es eine Blutfarm; und auch in diesem Bereich der PMSG-Gewinnung gibt es ein Abfallprodukt: das Fohlen, das niemand braucht. Über die Zahlen kann nur spekuliert werden, da eine tierärztliche Überwachung in Südamerika nicht stattfindet.[11]

    • Beispiel Turbo-Milchkuh

    Die Probleme bei den Milchrindern sind ähnlich gelagert, abgesehen von der Tatsache, dass hier zusätzlich noch die männlichen Nachkommen als Abfallprodukt gehandelt werden, da sie für die Mast ungeeignet sind. Wie Prof. Dr. Wilfried Brade erläutert, ist eine einseitige Fokussierung auf die Milchleistung noch kein Indikator für Wirtschaftlichkeit. Die Deutsche Holsteinzucht hat in den letzten 20 Jahren sehr intensiv auf Körpergröße und Milchcharakter selektiert; dies führte dazu, dass die Kühe immer größer wurden. Hierbei wurde allerdings die Futtereffizienz vergessen. Diese geht ab einem Gewicht von 725 Kilo deutlich zurück, denn mit steigender Lebensmasse des Tieres nimmt auch der Nährstoffbedarf (Erhaltung) zu. Am effizientesten sind tatsächlich Jungkühe mit einem Gewicht von 540 – 550 Kilogramm im Alter von 24 Monaten. Brade betont eine Umkehr mit mehr Hinwendung zu Funktionalität und Stabilität.[12]

    Eine Erholungsphase kommt auch für die Milchkuh nicht in Frage. Wenn sie abgemolken wird, ist sie bereits hochträchtig. Direkt nach der Geburt des Kalbes und dem Abmelken der Kolostralmilch geht es zurück in die Milchproduktion. So ist denn auch einer der Hauptgründe für die vorzeitige Schlachtung von Milchkühen mangelnde Fruchtbarkeit. Ist sie nach dem zweiten Versuch nicht trächtig, geht sie vom Hof. Allerdings wurden 2016 nach Schätzungen der Bundestierärztekammer 180´000 trächtige Kühe geschlachtet, was auf mangelhafte Trächtigkeitsdiagnosen schliessen lässt. Dazu muss man bedenken, dass eine Kuh im Alter von 17-18 Monaten erstmals besamt wird, und dann 9 Monate trächtig ist, bis sie erstmals Milch gibt.

    Zwischenfazit: Das System ist, wie dargelegt, nicht nur nicht effizient, sondern in höchstem Maße verschwenderisch. Die Verluste im Bereich der Tiertransporte und die Verschwendung von Nahrungsmitteln auf dem Acker, im LEH und beim Verbraucher selbst sind hier noch nicht einmal berücksichtigt. Zudem sind die Einnutzungsrassen, die auf extreme, für sie und/oder ihre Nachkommen schädliche Leistungen gezüchtet wurden (Qualzuchten), nicht ohne weiteres wieder auf ein tierverträgliches Maß zurück zu züchten – ihre Nachkommen wären zunächst unweigerlich wieder Qualzuchten! [13]  Wie dieses Dilemma gelöst werden soll, ist momentan völlig unklar. Hier hat sich die Landwirtschaft in eine Sackgasse begeben, aus der es momentan keinen geordneten Ausweg zu geben scheint. In jedem Fall ist klar: Ohne dauerhafte Einschnitte beim Konsum tierischer Nahrungsmittel wird es keinesfalls gehen.

    Die Ebene der (menschlichen) Gesundheit
    Eine weitere Bankrotterklärung des aktuellen landwirtschaftlichen Systems liegt in der Anwendung von Antibiotika und den daraus resultierenden Resistenzen. Die Massentierhaltung ist nur mit Antibiotika überhaupt möglich [14]. So scheiterte auch die Reform des deutschen Arzneimittelrechts zur Senkung des Antibiotikaverbrauchs. Abgesehen davon, dass sie diverse Lücken aufwies (so war bspw. die Antibiotikagabe an Kälber vor dem Transport nicht meldepflichtig), hatte sie nur scheinbar Erfolg und eine äußerst unerwünschte Nebenwirkung..

    Als Ergebnis der Reform sank der Verbrauch (in Tonnen) beim Schwein um 40-50%, bei Geflügel um 1-4%, bei Kälbern um 4%. Die Lösung: Es wurden Antibiotika gegeben, die wirksamer sind und in geringerer Dosierung gegeben werden können; dazu griff man auf Wirkstoffe zurück, die als Reserveantibiotika gedacht waren (Colistin) – die Reduktion war eine scheinbare, denn man befand sich in dem Systemkonflikt, dass die Tierhaltung in dieser Form ohne Antbiotika nicht möglich ist. 80% der Milchkühe erhalten vor der Abkalbung Antibiotika. Im Bereich der Ferkelproduktion werden Tiere vom aufnehmenden Betrieb nur nach nachgewiesener Antibiotikagabe abgenommen. Ein Schwein, das von der Zucht in die Vormast und dann in die Mast kommt, erhält also schon zweimal Antibiotika. Wenn man junge Kälber (ab Tag 14) bereits transportieren darf, kommt man um den Gebrauch von Antibiotika nicht herum. In dieser Phase lässt der passive Impfschutz durch das Kolostrum nach, und die aktive Immunität muss aufgebaut werden. Leiden die Tiere in dieser Zeit unter Stress, und werden mit Kälbern aus anderen Betrieben in einem Transportfahrzeug zusammengepfercht, kann das nicht gutgehen. Immunsystem der Tiere gefährdet durch Stress, Platzmangel, schlechte Luft, Dreck, Lichtmangel. Kälbertransporte: ca. 750´000 sogenannte „Fresser“ pro Jahr. Ab 1.1. 2023 sollen Kälber erst mit 28 Tagen transportiert werden dürfen. 2019 wurden 80t für Bestandsbehandlung eingesetzt, allein für Hühner und Puten 66t.

    So kam es wie es kommen musste: Am 25.8.2017 wurde erstmals ein Bakterium identifiziert, das gegen alle bekannten Antibiotika resistent ist. Ein Drittel der Hähnchen zeigt laut Germanwatch Resistenzen gegen Reserveantibiotika [15], eine Resistenz, die dann bei den Hähnchenfleischexporten in andere Länder gleich mitgeliefert wird.

    Auch Vegetarier sind nicht gefeit: Bei der Bestandsbehandlung werden aus Sicherheitsgründen hohe Dosierungen verabreicht, um alle Tiere zuverlässig zu versorgen. Das zuviel wird mit der Gülle ausgeschieden und schädigt beim Düngen den Boden (Bodenflora inklusive Regenwürmer). Und die Gülle ist auch direkt keimbelastet: Greenpeace untersuchte 2019 Gülleproben auf multiresistente Keime und wurde in 12 von 15 Proben fündig [16]. In 10 Proben waren zudem antibiotische Wirkstoffe nachweisbar.

    Dass es anders geht, zeigt der Marktführer Danish Crown mit seinem Programm für antibiotikafreie Schweinemast (ohne Bestandsbehandlung). Kranke Tiere werden selbstverständlich individuell behandelt. 80-85% der Schweine erreichen die Schlachtreife ohne antibiotikafrei für 20 Cent mehr pro Kilo Fleisch. In Deutschland gibt es das Programm „HerzensSACHE“ [17], in den Niederlanden gleich das  komplette bezahlte Ausstiegsprogramm aus der Tierhaltung „Warme sanering“ – mit überwältigender Nachfrage.

    Zwischenfazit: Die Geschichte der Reform 2014 zeigt das Beharrungsvermögen des Systems. Statt die Antibiotika zu reduzieren, wurden wirksamere gegeben, die niedriger dosiert werden müssen. Dadurch schien sich die Menge zu reduzieren, obwohl eigentlich nichts erreicht wurde. Die Gabe von Reserve-Antibiotika hat dazu geführt, dass die vorerst letzte Waffe stumpf geworden ist, und wir uns schlimmstenfalls auf ein postantibiotisches Zeitalter zubewegen. Trotz aller Bemühungen: Die resistenten Keime werden bleiben und sich vermehren. Wenn es eine wirklich fatale und nicht mehr rückgängig zu machende Folge der modernen Landwirtschaft gibt, dann ist es dies.

    Ebene der Landwirt:innen
    Gemäß Tagesspiegel hat die FDP im Juni 2022 höhere Steuern auf Fleisch, Milch und Eier abgelehnt [18]. Dies mit dem Hinweis, dass ansonsten vermehrt billiges ausländisches Fleisch gekauft wird. Dazu sei angemerkt: Nirgendwo wird Schweinefleisch, das trotz Rückgang des Konsums weiterhin mit weitem Abstand den größten Anteil des Fleisch- und Wurstverbrauches ausmacht, billiger produziert als in Deutschland. Ein erheblicher Teil wird exportiert. Statista.de.

    Die Preise für Lebensmittel, inkl. Fleisch, haben kürzlich stark angezogen, wovon die Landwirt:innen allerdings nichts haben. Durch den Krieg in der Ukraine ist ein wesentlicher Lieferant von gentechnikfreien Futtermitteln weggebrochen, was insbesondere Biolandwirt:innen in ein nicht auflösbares ethisches und wirtschaftliches Dilemma bringt.  Zudem wurde durch den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) die Abnahme gebremst, um erst zuschauen, wie die Verbraucher auf die Preissteigerungen zwischen 20 und 40% reagieren [19]. Gleichzeitig sind die Futtermittel- und Energiekosten explodiert. Die erhöhten Preise kommen also nicht dem Tierwohl zugute, sondern sind inflationsbedingt.

    Marktmacht der Abnehmer
    Im LEH, bei Molkereien und Schlachthöfen hat ein Konzentrationsprozess stattgefunden, der ohne Beispiel ist. Dies ermöglicht es, den Landwirt:innen vorzuschreiben, was sie anbauen, in welcher Qualität – und vor allem zu welchem Preis. Die Folge ist, dass sich Verbesserungen in der Tierhaltung – so sie denn Geld kosten- für die Produzent:innen schlicht nicht lohnen. Da ihre Milch mit der aller anderen vermischt wird, bekommen sie keinen finanziellen Mehrwert für ihre Bemühungen, und ihre Ware hat auch keinerlei Wiedererkennungswert. Hier schaffen die Labels zumindest teilweise Abhilfe. Viele Betriebe befinden sich in einer ruinösen Sackgasse, in der aufgrund Preissenkungen die Produktion erhöht werden muss, woraufhin die Preise weiter sinken, wobei die Betriebskosten aber gleichbleiben. Investitionen in Verbesserungen des Tierwohls sind ohne Zuwendungen von außen oft gar nicht mehr möglich.

    Die Züchtung auf immer Leistung hat sich in ihr Gegenteil verkehrt, wie am Beispiel der „Turbotiere“ dargestellt werden konnte. Die Zahl der Tiere, die innerhalb des Systems frühzeitig ausscheiden, ist mit Wirtschaftlichkeit nicht vereinbar – und mit Tierschutz natürlich schon gar nicht. Vieles ist auf Managementfehler bzw. -mängel zurückzuführen, wo Landwirt:innen die Anforderungen der Hochleistungstiere nicht mehr erfüllen können, und Betriebe bezüglich der Leistung und der Verlustraten stark auseinanderfallen. Das Grundproblem aber ist, dass sich die sogenannte moderne Landwirtschaft in zu vielen Aspekten in eine Sackgasse manövriert hat. Wie ein Neustart aussehen könnte, muss gesellschaftlich und politisch intensiv diskutiert und zeitnah umgesetzt werden. Dass das bestehende System äußerst instabil ist, zeigte sich zuletzt bei Corona, als schlachtreife Schweine wegen der Tönnies-Schließungen im Stall blieben, die Zulieferkette blockierten, weiter zunahmen und damit unweigerlich die gesetzlichen Mindestanforderungen an den Platz pro Tier nicht mehr erfüllen konnten.


    [1] Puten in der Massentierhaltung Albert Schweitzer Stiftung (albert-schweitzer-stiftung.de)

    [2] Statistisches Bundesamt

    [3] Steckbrief_Schweine.pdf (thuenen.de)

    [4] Steckbrief_Legehennenhaltung_2021_ET_1200dpi (thuenen.de)

    [5]   Topagrar 5/2022

    [6] Steckbriefe zur Tierhaltung in Deutschland: Mastgeflügel (thuenen.de)

    [7] Statistisches Bundesamt

    [8] Heinze, A. (2009). Steigende Wurfgrößen-was ist zu beachten? Nutztierpraxis aktuell. Proc 8. Haupttagung der Agrar- und Veterinärakademie, 41-43

    [9]  Ferkel | PROVIEH

    [10] lw-heute.de – Ferkelverluste im Blick behalten | Ferkelverluste im Blick behalten

    [11] Blutfarmen (animal-welfare-foundation.org)

    [12] Vetimpulse (4), Februar 2022, S. 7

    [13] Gutachten zur „Rückzucht“ von Defektmutanten (tieraerztekammer-berlin.de)

    [14] Kritischer Agrarbericht: 2017 (kritischer-agrarbericht.de)

    [15] Germanwatch-Analyse von Hähnchenfleisch auf antibiotikaresistente Erreger

    [16] Greenpeace-Report: Gefahr vom Acker | Greenpeace

    [17] 100 % antibiotikafreie Aufzucht – Reinert HerzensSACHE (reinert-herzenssache.com)

    [18] Neue Haltungskennzeichnung : FDP lehnt höhere Steuer auf Fleisch ab – Wirtschaft – Tagesspiegel

    [19] topagrar 5/22, S. 122

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