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Interview: „Es geht darum, ein Konzept zu finden, was zu den Menschen und dem Betrieb passt!“

    Im August 2023 startete TransFARMation Deutschland e.V. offiziell mit seiner Arbeit. Der Verein unterstützt landwirtschaftliche Betriebe, die aktuell Eier-, Milch- oder Fleischprodukte erzeugen, kostenlos bei der Umstellung hin zu einer zukunftsfähigen Landwirtschaft ohne Tiernutzung. Im Interview berichtet Matthias Welzel, wie der Verein das Erfolgskonzept aus der Schweiz nach Deutschland bringen will.

    Erstmal zu den Begrifflichkeiten: Was bedeutet TransFARMation?
    TransFARMation bezeichnet die Weiterentwicklung von Betrieben, die aktuell auf die Nutzung von Tieren – sei es für Milch, Fleisch oder Eier – angewiesen sind, hin zu einem Betriebskonzept, das mit pflanzlicher Produktion Einkommen generiert. Der Begriff ist in der Schweiz auf dem Hof Narr entstanden, wo Sarah Heiligtag in den letzten fünf Jahren über 130 Betriebe bei der Umstellung begleitet hat.

    Ist Hof Narr auch aus einer TransFARMation entstanden?
    Die gelernte Landwirtin Sarah hat aus dem Hof in der Nähe von Zürich einen Lebenshof gemacht, der alles vereint: Einerseits die pflanzliche Produktion und andererseits das Zusammenleben mit den Tieren, ohne dass diese dabei ausgebeutet werden. So können die geretteten Tiere Botschafter sein für ihre Artgenossen. Ganz zentral sind dabei die Aufklärung sowie Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit. Bei Schulbesuchen und Hofführungen erleben die Besuchenden selbst, was für faszinierende Persönlichkeiten die geretteten Tiere sind. Viele sehen, beobachten und berühren zum ersten Mal ein sogenanntes „Mastschwein“ oder eine „Legehenne“ und sind erstaunt, wie einzigartig, intelligent und lebensfroh sie sind. Das steht natürlich in einem Gegensatz zu dem, wie diese Tiere als sogenannte „Nutztiere“ gezüchtet, gehalten und getötet werden. So können die ethischen und auch ökologischen Probleme der heutigen Landwirtschaft greifbar gemacht werden. Mit der Zeit wurde der Hof immer bekannter und es kamen immer mehr Anfragen von Bäuerinnen und Bauern, die sich für das Konzept interessierten und eine neue Landwirtschaft ohne Tiernutzung wagen wollten. Die erste Hofumstellung war vor fünf Jahren, da war das ganze Konzept noch neu. Mit der großen Unterstützung der Bevölkerung war es möglich, den ersten Hof innerhalb von wenigen Monaten umzustellen. Nach diesem Erfolg kamen viele weitere Anfragen.

    Also ist TransFARMation Deutschland die Weiterentwicklung des Schweizer Konzepts?
    Ja, genau. Wir sind die Weiterentwicklung für Deutschland und wollen zeigen, dass das Schweizer Konzept auch in Deutschland funktioniert. Hier herrschen natürlich andere Rahmenbedingungen, sowohl gesetzlich als auch in Bezug auf die bäuerlichen Strukturen und die Einkommen. Gleichzeitig sind die Deutschen progressiver, zum Beispiel ist der Anteil der vegan und vegetarisch lebenden Menschen hier viel höher. Und die emotionale Bindung zu den Tieren ist in Deutschland natürlich genauso da wie in der Schweiz.

    Warum wollt Ihr die TransFARMation vorantreiben?
    Schon jetzt geht der Trend dahin, dass immer mehr Menschen auf eine pflanzliche Ernährung umstellen. Über 50 Prozent haben in den letzten fünf Jahren ihre Ernährungsgewohnheiten verändert. Wenn man das weiterdenkt, dann ist es sehr realistisch, dass wir uns in 10 bis 15 Jahren zu einem Großteil pflanzlich ernähren. Deswegen muss sich auch die Landwirtschaft umorientieren. Pionierbetriebe zeigen, dass Gemüse, Getreide und Hülsenfrüchte auf einer pflanzlichen Basis ohne tierischen Dünger angebaut werden können. Das wird immer mehr zum Standard werden. Außerdem wird der Anteil der biologisch angebauten Lebensmittel steigen. Das ist ja auch politisch gewollt. Wenn wir uns vermehrt pflanzlich ernähren, brauchen wir viel weniger Fläche, können extensiver wirtschaften und so der Natur mehr Flächen zurückgeben. Wir können zum Beispiel Moore wiedervernässen, was ein sehr wichtiger Beitrag zum Klimaschutz und zur Erhaltung der Artenvielfalt ist.

    Was bedeutet das für die sogenannten Nutztiere?
    Wir leben in einer Welt, wo aktuell für 8 Milliarden Menschen 82 Milliarden „Nutztiere“ gehalten werden. Aktuell leben 15-mal mehr „Nutztiere“ auf der Erde als frei lebende Säugetiere. Das heißt, zu jedem Zeitpunkt gibt es 10 Tiere irgendwo auf der Welt, die genutzt, ausgebeutet und instrumentalisiert werden. Einerseits leiden die Tiere darunter, aber eben auch die Umwelt und die Menschen. Unsere heutige Tierhaltung ist einer der Hauptfaktoren der Umweltbelastung, sowohl wenn wir auf die Klimakrise schauen als auch in Bezug auf das Artensterben, Verschmutzung von Luft, Wasser und Böden und die Zerstörung von Ökosystemen. Und auch uns Menschen betrifft sie ganz direkt: Aktuell werden 40 Prozent der Getreideernte an Tiere verfüttert, während 800.000 Menschen hungern. Und sie erzeugt Leid bei den Landwirt:innen selbst, die das Tag für Tag miterleben müssen. Nicht umsonst hat der Beruf eine der höchsten Selbstmordraten in Deutschland. Es gibt also ganz viele Gründe für die TransFARMation.

    Ist es richtig, dass die Beratung für die Landwirt:innen kostenlos ist?
    Ja, das ist richtig. TransFARMation Deutschland ist ein gemeinnütziges Projekt und die Beratung ist kostenlos. Möglich ist das, weil wir zwei Stiftungen für dieses Vorhaben gewinnen konnten. Sie ermöglichen, dass wir mit Vollzeitkräften und viel Expertise in diesem Monat starten können.

    Wie ist TransFARMation aktuell fachlich und personell aufgestellt?
    Wir sind ein Team von fünf Leuten, das außerdem noch von verschiedenen Ehrenamtlichen unterstützt wird. Wir haben zwei Landwirte im Team, die selber auch schon seit vielen Jahren bioveganen Anbau praktizieren, also Erfahrungen mit Getreide, Leguminosen, Obstbau und Gemüse sowie mit Direktvermarktung haben. Unsere Projektleiterin Samara Eckardt hat drei Jahre in einem Ferkelproduktionsbetrieb gearbeitet und in dieser Zeit aus erster Hand erfahren, was die Tierindustrie den Tieren antut. Sie kennt die Schweineindustrie in- und auswendig und weiß, wie die Landwirtschaft tickt. Und dann gibt es noch mich. Ich habe meine Erfahrungen mit der TransFARMation direkt auf dem Hof Narr gesammelt. Als Projektleiter bin ich nun zuständig für Beratung, Finanzplanung und Öffentlichkeitsarbeit. Außerdem steht uns auch Sarah Heiligtag zur Seite, die in dem Bereich ja eine alte Häsin ist.

    Wie läuft die Beratung konkret ab?
    Die erste Anfrage erfolgt entweder über das Telefon, E-Mail oder unsere Website. Ausgangspunkt kann auch nur das Bedürfnis sein, etwas zu verändern. Manchmal dreht es sich auch um ein einzelnes Tier, das vor dem Schlachthof gerettet werden soll. Da hören wir genau hin. Was sind die Wünsche und Vorstellungen? Falls Interesse besteht, schauen wir uns im nächsten Schritt die Gegebenheiten vor Ort an. Was ist das für eine Region, was ist das für ein Betrieb und was sind das vor allem für Menschen? Denn darauf kommt es letztendlich an, dass diese ein Konzept finden, wo sie sagen können: „Das habe ich mir eigentlich gewünscht“.

    Träume sind ja schön, aber wie sieht es mit der Wirtschaftlichkeit aus?
    Das Ziel muss natürlich immer ein finanziell solides und tragfähiges Konzept sein. Der Startpunkt ist aber, dass man sich erstmal das Träumen erlaubt, ohne sich direkt zu beschränken. Die Frage ist: „Wo würde ich gerne hin, wenn ich die Chance hätte?“ Und dann schauen wir, ob wir das an die Realität anpassen können. Wenn das klar ist, überlegen wir, was wird dazu gebraucht. Unsere Aufgabe ist dann beispielsweise die Vernetzung mit den verschiedensten Akteur:innen wie Abnehmern, Medien oder Unterstützern vor Ort. Wir verfügen auch über finanzielle Mittel, um bei Bedarf in dieser Übergangsphase zu unterstützen, damit das neue Projekt in die Blüte kommen kann. So stellen wir das Ganze auf sichere und solide Beine, denn unser Motto ist ja: Wir begleiten in eine zukunftsfähige Landwirtschaft!

    Können Sie ein paar konkrete Beispiele für Höfe nennen, die umgestellt haben?
    Wir hatten öfters Höfe, die zuvor Rinder für die Fleisch- oder Milchproduktion hielten. Da war häufig der Wunsch, weiterhin mit den Tieren leben zu können, ohne ihnen die Kälber wegzunehmen oder Bullen und ausgediente Kühe zum Schlachter zu bringen. Letztendlich leben wir heute in einer Welt, wo wir das nicht mehr tun müssen. Genau dafür ist die TransFARMation da, um den Landwirt:innen einen anderen Weg zu zeigen. Ich erinnere mich, an eine berührende Geschichte von einem Landwirt, der jahrelang nicht mehr in seinem Schweinestall war. Er saß eigentlich nur noch im Büro und hatte Mitarbeitende, die das für ihn übernommen haben. Irgendwann waren jedoch alle Mitarbeitenden krank und er musste selbst ran. Als er den Schweinen dort in die Augen schaute, hat er mit einem Mal gefragt: „Was mache ich hier eigentlich?“ Er hat sich auf der Stelle umdreht, im Internet recherchiert und dann die Nummer von Sarah Heiligtag gewählt. Jetzt, zwei Jahre später, ist er unglaublich erfüllt und wieder stolz auf seinen Beruf.

    Was macht dieser Landwirt jetzt?
    Er hat auf die Pflanzenproduktion umgestellt. Ich glaube, er baut eine Variation von Getreide und Leguminosen an. Er hat noch einige wenige Tiere bei sich in einem Lebenshof-Modell, die den Besuchenden zeigen, was Schweine für unglaublich intelligente und spannende Tiere sind.

    Wie könnte und sollte die Landwirtschaft in 10 bis 15 Jahren aussehen und was fordert Ihr von der Politik?
    Letztendlich muss die Ernährungs- und Agrarwende, von der ich gesprochen habe, von staatlicher Seite viel stärker forciert werden. Was wir als finanzielle Unterstützung anbieten, muss auf einer viel größeren Skala gedacht werden! Dafür gibt es wirkungsvolle Hebel. In den Niederlanden gibt es beispielsweise Ausstiegsprämien für Tierhalter:innen. Wenn es einen groß angelegten Wandel geben soll, müssen Gelder für den Ausstieg aus der Tierhaltung fließen. Außerdem müssen mehr Beratungsangebote und Fördermöglichkeiten geschaffen werden. Auf der anderen Seite sollten keine neuen Ställe mehr genehmigt werden. Man könnte beispielsweise – wie bei den CO2-Emissionen – ein Höchstkontingent festlegen. Danach dürfen nur eine bestimmte Anzahl von Tieren in Deutschland gehalten werden. Dieses Kontingent sollte dann sukzessive reduziert werden. Wenn ein Stall aus der Nutzung genommen wird, dann wird er nicht ersetzt.

    Seht Ihr bei der aktuellen Bundesregierung Initiativen, die in diese Richtung gehen?
    Bis jetzt hat keine der Parteien den politischen Willen für ein klares Ausstiegsziel formuliert, auch nicht die Grünen. Stattdessen soll Geld in den sogenannten Umbau der Tierhaltung fließen, um für die Tiere in kleinen Reduktionsschritten wenige Quadratmeter mehr Platz rauszuholen. Wenn man diese Mittel konsequent in den Ausstieg aus der Tierhaltung investieren würde, dann hätte man mit denselben finanziellen Mitteln sehr viel mehr gewonnen. Und dieser Wandel wird so oder so kommen, einfach weil er aus ökologischen Gründen unausweichlich ist. Deswegen ist es so wichtig, dass wir zeigen, dass die TransFARMation die Speerspitze der Agrarwende ist und das der Wandel nur zusammen mit Landwirt:innen funktioniert.

    Wie bringt Ihr euer Angebot jetzt an die Zielgruppe? Wie erfahren die Landwirt:innen davon, dass es euch gibt und wie ihr sie unterstützen könnt?
    Wir versuchen alle Kanäle zu bespielen. Wir sind auf social media unterwegs und in den traditionellen Medien. Zukünftig wollen wir auch auf Veranstaltungen überall dort präsent sein, wo Landwirt:innen sich austauschen. Besonders wichtig ist auch die Mund-zu-Mund Propaganda, von denen, die erfolgreich umgestellt haben. Da wir bereits jetzt viele Anfragen haben, birgt das ein unglaubliches Potential, um die Idee zu verbreiten.

    Zum Schluss muss noch ein wenig Raum für die Noch-Utopie sein. Wie sollte die Landwirtschaft der Zukunft im besten Fall aussehen?
    Im besten Falle werden Tiere nicht mehr für die Produktion von Nahrungsmitteln genutzt. Die „normalen“ Legehühner, die über 300 Eier im Jahr legen müssen, die Milchrinder, die auch extreme Leistungen erbringen müssen oder die Schweine und Masthühner, die so gezüchtet sind, dass sie unter ihrem eigenen Körpergewicht leiden. All das würde es nicht mehr geben. Diskutieren kann man, dass es vielleicht noch einige Tiere in Lebenshof-Modellen gibt, die in Frieden leben können. Das sind wichtige Begegnungsorte, bei denen Menschen mit ihnen in Kontakt kommen können. Die Nahrungsmittelproduktion wäre stattdessen pflanzlich. Möglichst in bioveganem Anbau. Ich glaube, dass wir da auf vielfältige Weise von profitieren, wenn wir so im Frieden mit den anderen Mitlebewesen auf diesem Planeten umgehen.

    Das Interview führten Dr. Stefanie Schindler und Christina Ledermann

    Hier erfahren Sie mehr über das Angebot von TransFARMation Deutschland e.V.: transfarmation-deutschland.de