Marius Rommel ist Nachhaltigkeitsökonom und forscht im Rahmen seines Forschungsprojekt nascent an der Forschungsstelle Plurale Ökonomik der Universität Siegen dazu, wie die Solidarische Landwirtschaft (SoLawi) insbesondere für kleinere Betriebe zu einer planbaren und sicheren Perspektive werden kann. Das Modell der SoLawi ist aus seiner Sicht einer der vielversprechendsten Ansätze in der Ernährungswirtschaft. Im Interview berichtet er, welche Vorteile und Perspektiven die Umstellung für Landwirt:innen bieten kann und was die Voraussetzungen sind.
- Herr Rommel, Sie haben sich im Rahmen Ihres Forschungsprojekts „nascent“ unter anderem mit der Solidarischen Landwirtschaft beschäftigt. Bitte erklären Sie kurz, was die „SoLawi“ genau ist?
Solidarische Landwirtschaft oder kurz SoLawi ist ein innovatives Direktvermarktungsmodell, welches jenseits des klassischen marktwirtschaftlichen Systems Erzeuger:innen und Verbraucher:innen in Wirtschaftsgemeinschaften zusammenbringt. Verantwortung und Risiken werden geteilt und die Kosten für die Produktion von den Mitgliedern getragen. - Welche Vorteile bietet die Umstellung auf eine SoLawi für die Landwirt:innen?
SoLawi ermöglicht den Erhalt kleinbäuerlicher Vielfaltslandwirtschaft mit einer Versorgung von Verbraucher:innen, die meine Arbeit wertschätzen und zu denen ich eine direkte Beziehung pflegen kann. Aus meiner Sicht gibt es zahlreiche Landwirte und Landwirtinnen, welchen die direkte nahräumliche Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln am Herzen liegt. Diese gilt es zu erreichen und von den Vorteilen dieses Ansatzes zu überzeugen. Allerdings sitzen immer mehr Betriebe in der Investitionsfalle fest, da wird es ergänzend sinnvolle Programme brauchen, die Landwirte aus dieser Wachstumsmühle befreien. Solange diese noch gefangen sind, in Strukturen, die viel kosten und wenig einbringen, hilft keine Motivation der Welt. - Welches Interesse haben die Verbraucher:innen daran, Teil einer Solawi zu sein?
Die Einbettung wirtschaftlicher Prozesse in nahräumliche Kontexte verringert die moralische Abkopplung und lässt Verbraucher:innen die Konsequenzen ihres Tuns im positiven Sinne wieder spüren. Gleichzeitig wirkt das Erfahren von Nähe zu dem, was mich versorgt für Mitglieder sinnsteigernd. SoLawi-Betrieben, die wir in unserem Projekt in den Blick nehmen gelingt dies. Durch eine graduelle Abkehr von marktwirtschaftlichen Prozessen können sie einerseits eine stabile Versorgung mit regionalen, fair und nachhaltig/ökologisch erzeugten Produkten und Lebensmitteln gewährleisten, andererseits bieten sie Orte für Teilhabe, sinnstiftende praktische Tätigkeit, solidarisches Wirtschaften und vielfältiges Lernen. Sie bieten Gemeinschaft in einer individualisierten Welt und das ist denke ich der Schlüssel zum Erfolg, weil sie eine ansonsten häufig wenig gestillte Sehnsucht bedienen. Das Modell der SoLawi ist aus meiner Sicht einer der vielversprechendsten Ansätze in der Ernährungswirtschaft. - Bisher ist die SoLawi als gemeinschaftsgetragene Landwirtschaft jedoch nur ein Nischenphänomen. Welche realistischen Perspektiven sehen Sie für diese Form der Nahrungsmittelerzeugung in Deutschland?
Wir beobachten eine sehr dynamische Entwicklung dieses Ansatzes. Waren es vor gut 10 Jahren noch eine Handvoll Pionierbetriebe haben wir heute (2023) knapp 500 Betriebe und ein Abebben dieses Trends ist nicht in Sicht. Der Erfolg liegt auf der Hand: Jenseits ökonomischer Preis- und Marktkoordination ermöglichen SoLawi-Betriebe überschaubare und transparente Produktionsweisen mit einer minimalen Distanz zwischen Verbrauch und Erzeugung, sie ermächtigen Verbraucher:innen, als Prosumenten mitzuwirken, beschränken auf effektive Weise Größenwachstum, Technisierungsgrad und Kapitalbedarf und schenken Landwirten eine planbare und sichere Perspektive. Immer mehr Landwirte sehen in Solawi einen realen Zukunftspfad, insbesondere kleinere Betriebe, deren Zukunftsprognosen sonst selten rosig sind. - Welche betrieblichen und persönlichen Voraussetzungen müssen Landwirt:innen mitbringen, um auf eine SoLawi umzustellen?
Es braucht aus meiner Sicht vor allem die Motivation hochwertige Lebensmittel für einen Kreis von Menschen produzieren zu wollen, mit denen ich als Landwirt wieder in direkte Beziehung trete. Und natürlich die Bereitschaft, statt Spezialisierung auf Vielfaltslandwirtschaft zu setzen. - Mit welchen Schwierigkeiten müssen Landwirt:innen rechnen?
Tatsächlich haben SoLawi-Betriebe mit vielen Problemen zu kämpfen wie andere traditionelle Betriebe auch. Unsere Forschungsergebnisse zeigen sehr deutlich, dass vielfach nicht die Lohnstrukturen erreicht werden, die nötig und auch angestrebt werden. Prekäre Löhne sind also auch in Solawi-Betrieben ein beständiger Begleiter, wenngleich diese vielfach von Beschäftigten nicht als Problem wahrgenommen werden, da die sonstigen Arbeitsbedingungen häufig attraktiver sind. Dann erfordert die stärkere Einbindung der Mitglieder in die Produktionsprozesse ein gewisses Maß an Gemeinschaftskompetenz, welches es zu erlernen gilt. Wo immer Menschen in dieser Weise zusammenkommen, kommt es zu Konflikten, die mitunter aufreibend und auch zeitintensiv sein können. Der große Nutzen des gemeinsamen Risiko-Teilens kann also im schlimmsten Fall auch zum Verhängnis werden. Wie in jeder guten Partnerschaft gilt auch bei Solawi-Betrieben, das Arbeiten an einem gelingenden und konstruktiven Miteinander. - An wen können sich interessierte Landwirt:innen wenden, um mehr über die konkrete Umstellung auf eine SoLawi zu erfahren?
Landwirtschaftskammern und -behörden sind im Bereich Direktvermarktung wieder zunehmend besser aufgestellt und haben auch das gemeinschaftsgetragene Direktvermarktungsmodell Solawi immer mehr auf dem Schirm. Aber vor allem das bundesweite Netzwerk Solidarische Landwirtschaft bietet professionelle Beratung und Unterstützung bei der Umstellung auf SoLawi (www.solidarische-landwirtschaft.de) - Was wäre nötig, um den Landwirt:innen die Umstellung auf eine SoLawi zu erleichtern?
Notwendig wären gezielte Förderprogramme für die Umstellung bestehender Landwirtschaftsbetriebe. Außerdem muss das SoLawi-Modell stärker in landesweiten und kommunalen Strukturen berücksichtig werden. Es bräuchte noch mehr professionelle SoLawi-Berater in den LWKs sowie SoLawi-Beauftragte in Kommunalverwaltungen, Kirchen etc., die sowohl Bildung- als auch Umstellungs- und Beratungsangebote anbieten.
Hier können Sie sich das Handbuch „Solidarische Landwirtschaft: SoLawis erfolgreich gründen & gestalten“ herunterladen.
Mehr zum Thema Solidarische Landwirtschaft unter: www.solidarische-landwirtschaft.org
Mehr zum Forschungsprojekt nascent unter: www.nascent-transformativ.de