Interview mit Dr. Martin Parlasca (Juni 2022)
Der Agrarökonom Dr. Martin Parlasca ist Senior Researcher am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn. In seiner Forschung widmet er sich Fragen bezüglich Welternährung, Ernährungssicherheit und nachhaltiger Entwicklung und ist Mitautor der Anfang Mai erschienenen Studie „Meat consumption and sustainability“ (1). Ein Ergebnis ist, dass die Industrienationen den Verzehr von Fleisch um mindestens 75 Prozent reduzieren sollten, damit die Erde uns auch in Zukunft noch ernähren kann.
Gibt es in der „modernen“ Landwirtschaft gewisse Ursünden, die das System in die Lage gebracht haben, in der es heute ist?
Ursünden, die auf menschliches Handeln oder spezielle Werte zurückzuführen sind, sehe ich nicht. Auch das Mantra, möglichst viel Lebensmittel zu möglichst geringen Kosten zu erzeugen ist generell kein falscher Ansatz. Die vielen ernstzunehmenden Umweltprobleme, welche die Landwirtschaft jedoch definitiv erzeugt, sind vor allem darauf zurückzuführen, dass der Marktpreis eines Produkts oft nicht den Preis widerspiegelt, den wir Menschen, die Tiere und die Umwelt für die Herstellung des Produktes tatsächlich bezahlen. Landwirt*innen werden daher vor allem dahin gedrängt, jene Kosten, die tatsächliche Geldströme bedeuten, zu reduzieren, während Kosten, die sich nicht in Geldströmen widerspiegeln, vernachlässigt werden. Das betrifft zum Beispiel Bemühungen für Tierwohl, die über das gesetzlich Vorgeschriebene hinausgehen, oder ein besonders schonender Umgang mit der Natur und dem Klima. Würden diese Kosten internalisiert werden, das heißt sich im Marktpreis widerspiegeln, können wir die Entwicklung hin zu einer Landwirtschaft schaffen, die tatsächlich möglichst kosteneffizient und gut für Mensch und Natur ist.
In seinem aktuellen Bericht kritisiert auch der Weltklimarat den hohen Fleischkonsum in den Industrienationen. Die Nachfrage nach Fleisch sinkt in Deutschland seit einigen Jahren. Dennoch ist der Fleischkonsum in den meisten Industrienationen seit Jahrzehnten auf einem hohen Niveau. Die Ernährungsumstellung ist eine wichtige und schnell umsetzbare Maßnahme, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Was sind die Hürden für den dringend benötigten Umstieg von tierischen zu pflanzlichen Proteinquellen?
Die meisten Deutschen essen tierische Produkte hauptsächlich auf Grund des Geschmacks. Hinzu kommen die Macht der Gewohnheit und dass tierische Produkte als gesund und sättigend wahrgenommen werden. Aus meiner Sicht hat sich geschmacklich gerade bei pflanzlichen Proteinquellen sehr viel getan in den letzten Jahren. Ich bin optimistisch, dass die Hürde, die von Geschmacksunterschieden zwischen pflanzlichen und tierischen Eiweißquellen ausgeht, schnell weiter sinkt. Unsere Gewohnheiten anzupassen ist hingegen jedoch oft ein sehr zäher and langwieriger Prozess, der zum Teil über Generationen hinweg andauert. Das heißt, auch wenn manche Menschen eigentlich ihren Fleischkonsum reduzieren oder gar aussetzen möchten, ist das je nach Gewohnheiten und Ernährungsumgebung schwer umzusetzen.
Welche politischen und weitere Maßnahmen halten Sie für zielführend, um Menschen in den Industriestaaten zu motivieren, ihre Ernährung umzustellen?
Hier bedarf es einer Vielzahl verschiedener Hebel. Diese reichen von weichen Maßnahmen, wie zum Beispiel Informationskampagnen und Aufnahmen des Themas in Schulcurricula, über das Verändern von Standardeinstellungen (z.B. wo findet man Fleisch und vegetarische Produkte in Supermärkten), hin zu stärkeren Eingriffen wie Steuern oder Fleisch-freien Tagen in öffentlichen Kantinen. Insbesondere eine kombinierte CO2– und Gesundheitssteuer hat großes Potential zu einem nachhaltigerem Ernährungssystem beizutragen. Trotzdem sollten wir uns dabei nicht auf einen einzelnen Ansatz verlassen, sondern vielmehr mehrere Ansätze gleichzeitig verfolgen.
Was halten Sie von einer Steuer auf tierische Produkte oder einer Klimaabgabe? Wofür genau sollten mögliche Einnahmen verwendet werden?
Eine Steuer kann gerade dann sinnvoll sein, wenn sie es schafft, die Kosten für Umwelt und Menschen widerzuspiegeln. Daher sehe ich es als durchaus sinnvoll an zumindest die Reduktion des Mehrwertsteuersatzes für tierischen Produkte aufzuheben. Ob dies alleine reicht, um eine Lenkungswirkung zu erreichen ist jedoch fraglich. Zusätzliche Einnahmen sollten in jedem Fall dann dazu genutzt werden, einkommensschwache Haushalte zum Beispiel durch Steuerrückzahlungen zu kompensieren und die Entwicklung hin zu einer tier- und umweltfreundlicheren Landwirtschaft voranzutreiben.
Damit mehr pflanzliche Proteine angebaut werden müssen sich auch die Landwirt:innen neu ausrichten. Die Politik setzt dabei bisher eher auf den guten Willen der Landwirt:innen. Welche Instrumente könnten die Transformation hin zum Anbau von beispielsweise Konsumleguminosen für den menschlichen Verzehr einleiten und beschleunigen?
Unter Konsument*innen muss die Nachfrage nach diesen Produkten steigen. Vielen Konsument*innen ist der große Umweltvorteil von Hülsenfrüchten gegenüber Fleischprodukten gar nicht richtig klar. Ein weiteres Problem liegt darin, dass Hülsenfrüchte oft längere Kochzeiten haben und ihre Zubereitung daher mit vergleichsweise viel Vorbereitung verbunden ist. Es müssen aber auch Anreize gesetzt werden für Landwirt*innen um die Produktion dieser Lebensmittel voranzutreiben. Diese sollte durch mehr private und öffentliche Investitionen in Züchtungsprogramme unterstützt werden. Hier gibt es leider ein starkes Ungleichgewicht zugunsten von Getreide.
Sehen Sie einen strukturierten, sozial- und tierverträglichen Ausweg aus der „modernen“ Landwirtschaft in den Industrieländern?
Wir müssen uns fragen, wohin die Reise gehen soll. Zum Gegenteil von „moderner“ Landwirtschaft, also zu „altmodischer“ oder „traditioneller“ Landwirtschaft sollten wir nicht zurückkehren. Wir müssen global mehr Menschen denn je ernähren und sind heutzutage in einer wirtschaftlichen und technischen Situation, in der wir das eigentlich auch können. Dazu brauchen wir eine moderne und leistungsfähige Landwirtschaft. Trotzdem gebe ich Ihnen absolut Recht, dass wir eine Transformation unseres Ernährungssystems brauchen, und zwar besser heute als morgen. Leider fehlt es jedoch oft an politischem Willen und an der Akzeptanz in der Bevölkerung für die notwendigen Schritte. Ich bleibe aber optimistisch, dass wir es schaffen können.
Wie könnte eine „postmoderne“ Landwirtschaft in Deutschland/Europa aussehen, bei der landwirtschaftliche Flächen, die bisher dem Futtermittelanbau dienen, wieder für die direkte menschliche Ernährung frei werden?
Die Tierbestände müssen deutlich reduziert werden. Es gibt jedoch auch Weideflächen, auf denen der Anbau von anderen, direkt vom Menschen essbaren Lebensmitteln, nicht möglich ist. Hier halte ich es für vertretbar, schonende und gut gemanagte Tierhaltung fortzuführen. Einen absoluten Verzicht von Fleischproduktion halte ich politisch und gesellschaftlich für unrealistisch und auch nicht für notwendig.
Die Niederlande haben kürzlich ein 25 Mrd. Euro schweres Ausstiegsprogramm aufgelegt mit dem Ziel, die Tierbestände um ein Drittel abzubauen. Der auf 13 Jahre angelegte Ausstiegsplan sieht vor, Landwirt:innen für den Ausstieg aus der Tierhaltung zu entschädigen oder ihnen beim Übergang zu einer extensiveren Landwirtschaft zu helfen. Wäre dies ein Vorbild für Deutschland?
Ich finde diesen Schritt richtig. Solche Entwicklungen stellen zwar tiefgreifende Änderungen in der Nutztierhaltung und der Landwirtschafft generell dar, die Anstrengungen sind aber nötig. Die Reduktion des Tierbestands ist jedoch nur ein Aspekt. Um eine gesellschaftlich akzeptierte Nutztierhaltung zu erreichen müssen wir auch dafür sorgen, dass es den Tieren, die weiterhin in den verbleibenden Produktionssystemen leben, besser geht.
Eine weitere innovative Forderung kommt ebenfalls aus den Niederlanden:
Die niederländische Regierung will 60 Millionen Euro in den Aufbau der sogenannten zellulären Landwirtschaft investieren, bei der tierische Produkte wie Milch und Fleisch direkt aus Zellen hergestellt werden. Verpasst Deutschland hier gerade den Anschluss an eine Zukunftstechnologie, die helfen könnte, Klima- und Ernährungskrise in den Griff zu bekommen?
In-vitro Fleisch hat definitiv einige Vorteile gegenüber herkömmlichem Fleisch. Es braucht weniger Fläche und führt zu geringerer Nährstoffbelastung. Wie groß der Beitrag dieser Technologie tatsächlich ist, um die Klimakrise zu bewältigen ist jedoch noch unklar, denn auch In-vitro Fleisch verbraucht natürlich in der Herstellung Ressourcen und ist momentan zum Beispiel energieintensiver als herkömmlichen Rindfleisch. Ein gewisses Potential besteht jedoch durchaus und ich bin auf die Entwicklung in den nächsten Jahren gespannt. Meine Einschätzung in Bezug auf den Beitrag dieser Technologie auf die Ernährungskrise ist jedoch eher nüchtern. Hier sind andere Technologien meines Erachtens deutlich vielversprechender und wichtiger, wie zum Beispiel die vorhin angesprochene Unterstützung der Pflanzenzüchtung.
Welche Bedeutung haben Laborfleisch und Fleischersatzprodukte Ihrer Meinung nach aus gesundheitlicher und gesellschaftlicher Perspektive?
Fleischersatzprodukte können helfen, den eigenen Fleischkonsum zu reduzieren. Das ist ein wichtiger gesellschaftlicher Beitrag, denn sie sind im Schnitt deutlich umwelt- und tierschonender als Fleischprodukte. Auch wenn ich persönlich lieber Gerichte essen, die als solche schon vegetarisch konzipiert sind, also bei denen erst gar kein Fleisch ersetzt werden muss, ist diese Auswahlmöglichkeit auf jeden Fall zu begrüßen. Gesundheitlich sind diese Produkte jedoch nicht identisch mit Fleischprodukten. Auch wenn die Nährwerttabellen sich ähneln, können sich die vorhandenen Metaboliten doch deutlich voneinander entscheiden. Wie sich das jetzt wiederum konkret auf unsere Gesundheit auswirkt, ist leider noch nicht ausreichend erforscht. Da die meisten Fleischersatzprodukte jedoch sehr hoch verarbeitete Lebensmittel sind, würde ich ihren Konsum ohnehin nur in Maßen empfehlen.
Kann die Gentechnik aus Ihrer Sicht zur Lösung beitragen oder ist sie nur ein weiterer Schritt in die falsche Richtung?
Ich bin davon überzeugt, dass die Gentechnik einen wichtigen Beitrag zur Lebensmittelsicherung beisteuern kann. In den meisten Situationen bringen GMOs Vorteile für Landwirt*innen, sei es durch geringere Einsätze von Pestiziden oder höhere Erträge und Einkommen. Natürlich müssen wir auch darauf achten, dass gerade Landwirt*innen in armen Regionen sich nicht abhängig machen von einzelnen Großkonzernen. Hier brauchen wir die entsprechenden institutionellen Rahmenbedingen. Die Debatte in Europa und insbesondere in Deutschland ist jedoch leider von vielen falschen Vorstellungen geprägt und daher viel zu zurückhaltend, was diese neuen Züchtungstechnologien betrifft.
Die Nachfrage nach Fleisch sinkt in Deutschland seit einigen Jahren. Das größte Wachstum des Fleischkonsums wird in den Ländern des Südens erwartet, schon wegen des Bevölkerungswachstums. Die FAO sagt für 2050 einen globalen Fleischkonsum von 45 kg/Kopf/Jahr voraus. Wie kann verhindert werden, dass Länder mit derzeit noch niedrigem Fleischkonsum dieselben Fehler machen wie wir (Massentierhaltung, Tierseuchen, Antibiotikaresistenzen, depletierte Böden, Nitrat im Trinkwasser, etc. pp.)?
Die entsprechenden Mengen Fleisch werden leider nur mit intensiver und industrieller Tierhaltung produzierbar sein. Eine Abkehr von diesen Systemen bedeutet, dass Fleisch deutlich teurer wird und der pro-Kopf Konsum entsprechend sinkt. Da ich es für unrealistisch halte, dass diese Systeme global komplett abgeschafft werden, müssen wir zumindest dafür sorgen, dass die Umweltprobleme, die Sie gerade genannt haben, minimiert werden. Das kann zum Teil durch striktere Regeln und Kontrollen angegangen werden, zum Beispiel was die Nutzung von Antibiotika angeht. Wir können aber nicht mit dem Finger auf andere Nationen zeigen, sondern müssen diese Schritte zunächst natürlich bei uns durchsetzen. Außerdem sind die Lieferketten heutzutage oft international. Wir importieren im Jahr zum Beispiel um die 4 Millionen Tonnen Soja als Tierfutter nach Deutschland. Unser hoher Fleischkonsum sorgt dafür nicht nur für Umweltbelastungen bei uns, sondern bereits jetzt auch schon in anderen Ländern.
Wie könnte dem schnell ansteigenden Fleischkonsum in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen entgegengewirkt werden, ohne die Armut zu vergrößern?
Ich sehe die Hauptverantwortung bei den wohlhabenden Ländern, die einerseits einen weit höheren pro-Kopf Fleischkonsum haben und zusätzlich auch die Möglichkeiten haben, auf geeignete Alternativen zurückzugreifen. Wir müssen in erster Linie unseren Konsum deutlich senken. Gerade in armen Ländern ist ein gewisser Anstieg des Fleischkonsums sogar zu begrüßen. In diesen Ländern sind Kinder, die ab und zu Fleisch konsumieren, gesünder als solche, die es nicht tun, auch wenn man Einkommens- und andere sozioökonomische Unterschiede berücksichtigt.
Was ist Ihr persönliches Fazit aus der Arbeit für das Review mit Prof. Qaim?
Auch wenn man manchmal im öffentlichen Diskurs das Gefühl hat, dass Fleischkonsum entweder komplett problemlos oder absolut schlecht wäre, ist dieses Thema vielschichtig und muss nuanciert betrachtet werden. An verschiedenen Stellen gibt es Interessenkonflikte, die es politisch und gesellschaftlich auszuloten gilt. Unterm Strich ist aber klar, dass wir unseren Fleischkonsum senken müssen. Notwendige Einschränkungen betreffen natürlich auch viele andere Konsumentscheidungen. Ich hoffe, dass wir als Gesellschaft lernen, diese Herausforderungen ernst zu nehmen und den Politiker*innen die entsprechende Lizenz und Rückendeckung für ungemütliche Veränderungen geben.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, was würden Sie sich wünschen, um die globalen Krisen zu lösen?
Ich glaube mein erster Wunsch wäre es, dass wir diese globalen Probleme wirklich als globale Gemeinschaft angehen und gemeinsam Lösungen suchen und umsetzen. Wenn zum Beispiel nur ein Land Regeln für mehr Tierwohl einführt, wandert die Produktion einfach in andere Länder aus, bei denen die Tierwohlstandards niedriger sind. Da müssen wir also gemeinsam an einem Strang ziehen. Auch die Klimakrise können wir nur gemeinsam lösen. Mein zweiter Wunsch bezieht sich auf Transparenz und Ehrlichkeit. „Wenn Schlachthöfe Glasfenster hätten, wäre jeder Mensch Vegetarier,“ lautet ein berühmtes Zitat. Ich glaube zwar nicht, dass das so komplett stimmt, aber wenn wir Konsument*innen wirklich wüssten wie unsere verschiedenen Lebensmittel tatsächlich hergestellt werden, könnten und würden wir auch vermehrt gute Produkte an der Ladentheke aussuchen. Und der letzte Wunsch ist wahrscheinlich eine generell stärkere Verbindung von Forschung und Gesellschaft. Sowohl für die Klimakrise als auch für das Ernährungssystem haben wir eigentlich schon eine ganz gute Vorstellung von vielversprechenden Strategien. Beide Seiten müssen ihren Teil tun, damit es auch zur Umsetzung kommt.